MAX PAUL MARIA – „Paradigm Beach“ Release-Shows ab 5. Mai
April 27, 2022Der in Berlin lebende Songwriter und Sänger Max Paul Maria legt mit „Paradigm Beach“ sein erstes Album im Bandsound vor, facettenreich und genreübergreifend
05.05, Hamburg, Jolly Jumper
08.05. Berlin, Klunkerkranich
Der in Berlin lebende Songwriter und Sänger Max Paul Maria hat eine dieser Stimmen, bei denen man immer denkt: Die braucht gar nicht mehr als ein bisschen Akustikgitarre drumrum. Tatsächlich hat Max so seit Jahren viele Konzerte bestritten. Hat die Welt bereist, zwar auch viele Shows mit Band gespielt, aber eben immer wieder bewiesen, dass er einer dieser Vollblut-Songwriter ist, die zum Gitarrenspiel gute Geschichten erzählen. Mit einer starken, wettergegerbten Stimme, die zu einem Menschen gehört, der schon viel gesehen hat. Mit diesem Wissen hätte man eigentlich vermuten können, diese verfickte Pandemie hätte Max Paul Maria dazu inspiriert, ein intimes, im Lockdown eingespieltes Akustik-Album aufzunehmen. Aber es sollte anders kommen: „Paradigm Beach“ ist das genaue Gegenteil davon. Ein starkes, facettenreiches, üppiges, viele Genres bespielendes Bandsound-Album – das erste in seiner Diskografie.
Doch die Anfänge von „Paradigm Beach“ standen im Zeichen einer Sinnkrise. „Das Wegbrechen jeglicher Liveshows war natürlich erstmal finanziell absolut fatal für einen Künstler wie mich“, erzählt Max bei einem Treffen in Berlin, ein Tag bevor es für ihn endlich wieder auf Tour geht – im Vorprogramm seiner Freunde von The Dead South. Ohne seine regelmäßigen Konzerte spürte Max jedoch auch „eine Form von Identitätsverlust. Wenn du auf einmal nicht mehr die Resonanz auf deine Musik oder deine Bühnenperson bekommst, verlierst du ein Stückweit deine künstlerische Identität. Es fühlte sich erst an, als schriebe ich in so einen Limbo hinein.“ Die Lösung für ihn: Mal so richtig ins Studio, viel Zeit nehmen und mit Freunden umgeben, mit denen er gerne Musik macht. Eine Schlüsselfigur war sein Kumpel und ehemaliger Bandkollege bei Vizediktator Sid Vision, in dessen Grandpa’s Smokey Cellar Studio das Album entstand.
Tatsächlich ist „Paradigm Beach“ mitnichten ein Singer-Songwriter-Album, obwohl alle Songs aus der Feder von Max Paul Maria stammen. Es gibt hippieske Ausritte in die 70er („Life Upon A Hill“), große Pop-Momente („A Silken Thread“), dezente Mali-Vibes im sehnsüchtigen „Sidi Ifni 1974“, mit „Cops“ einen wütenden Punk-Brecher und mit „Orphans“ sogar einen Song seines Debütalbums, der auf „Miles & Gallons“ noch „Il ne reste qu a chanter“ hieß – im Original intim eingespielt in einer regnerischen Nacht in Lissabon, nun ein Pendeln zwischen lauten und leisen Momenten. „Ich hatte auf jeden Fall vor, mal so einen richtig guten Sound zu machen. Alles auffahren, was möglich war. ‚Paradigm Beach‘ ist als Album genau das geworden, was es werden sollte. Es ist eine Abkehr von diesem Jungen-mit-der-Gitarre-Songwriter. Das ist schön, ich liebe das nach wie vor, aber irgendwie fühl ich glaube ich komplexer.“
Einige der zehn Songs wurden schon vor der Pandemie geschrieben, andere inmitten dieser seltsamen Zeit. Max sagt dazu: „Es gibt ältere Songs darauf, die leben ganz eindeutig von so einer Stimulanz – man erlebt was, reist herum, trifft Menschen, sieht Dinge, schreibt drüber. Als das wegblieb, hat dann irgendwie so eine übersteigerte Innerlichkeit Einzug gehalten. Ich habe natürlich kein Pandemie-Album geschrieben, aber diese intensive Art zu fühlen und manchmal wütend und manchmal verständnislos auf die Welt zu schauen – das findet sich schon recht deutlich in den Lyrics.“
Wie dicht das beisammen liegt, zeigt vielleicht die erste Single „Cops“ sehr gut: Ein wütender Ausbruch, der Maxs Punk- und Hardcore-Sozialisation zeigt, die von Bands wie Fugazi und Black Flag geprägt war. „Cops“ ist keine reine ACAB-Hymne, sondern eher ein ebenso lautes wie kluges Sinnieren über Staatsgewalt. Max nennt das „fast so eine Art ästhetische Untersuchung dieser Gewalt, die ja oft sehr unverhältnismäßig daherkommt. Gar nicht mal nur in Bezug auf Polizeigewalt. Als freischaffender Künstler macht dir das Finanzamt zum Beispiel schnell das Leben zur Hölle, wenn du 400 Euro Einkommenssteuer nicht gezahlt hast, und beim Cum Ex-Skandal werden Milliarden Steuergelder veruntreut und keiner wird zur Rechenschaft gezogen.“ Im Song heißt das dann sehr treffend: „CUM EX, FRONTEX, tear gas, Mercedes Benz cars / fully erect Trump Towers and golden showers / I´d piss on you too / welcome to the greatest show on earth.“ Es macht den großen Reiz des Albums aus, das gleich darauf „A Silken Thread“ folgt – ein Song, der eher klingt, als hätte Max ihn für Adele schreiben wollen, mit einem Refrain, den man gerne mal in der Royal Albert Hall schmettern würde. Im Titelsong „Paradigm Beach“ wiederum hört man Anklänge von Nirvana, Led Zeppelin, und Tame Impala in friedlicher Koexistenz mit Max Paul Marias Stimme, die hier Bruce Lee, Duchamp und Harry Dean Stanton anruft und von einem Ort singt, den es laut Max „so natürlich nicht gibt“.
„Paradigm Beach“ stehe für „dieses Gefühl, umgeben zu sein von den Widersprüchen und Entfremdungen des modernen Lebens – man ist umgeben von immer komplexer werdenden Systemen, die einen im Grunde ratlos zurücklassen. Bis zu einem Punkt, wo man die Probleme, die ja im Grunde systemisch sind, selbst verinnerlicht und man im Abgleich mit anderen merkt, dass man nicht mehr funktioniert und klarkommt. Und im Gegensatz dazu steht diese maximale Vergnügungssucht: Alle wollen alles erleben und so explizit wie möglich zur Schau stellen.“
Die zehn Lieder sind eine vertonte Wertschätzung des Musikmachens. Ein Freikämpfen aus einer lähmenden Situation, mit Liedern, deren Worte, Geräusche, Rhythmen und Melodien einem langsam aber nachhaltig ins Herz kriechen – wo sie einen zur Not auch noch durch die nächste Pandemie bringen, am liebsten aber natürlich in einem Club im Kreise Gleichgesinnter gehört werden wollen. Denn das ist immer noch das natürliche Habitat von Max Paul Maria – auch wenn er jetzt mal gezeigt hat, dass ihm dieses Studioding ebenfalls liegt.